Morgengedanken von Sr. Sonja …
Die Sendereihe „Morgengedanken“ läuft jeden Tag in der Früh auf Ö2. In 90 Sekunden sollen aus dem Weisheitsschatz der christlichen Tradition Impulse für den Tag gegeben werden.
einfach (LASSEN) TRAUEN
In den vergangenen Monaten hatten wir jede Menge Übungsfelder um alles „einfach“ neu zu betrachten. Ich habe die Hoffnung, dass wir uns in der corona-geschüttelten Zeit wieder auf einen Reifungsweg eingelassen haben.
Reifen ist Wachsen und Werden. In Bereitschaft zur Selbstbesinnung, zum Aufbrechen, Fragen stellen, Lieben und Ringen … In Offenheit für all das, was das Leben bringt Lernende/r bleiben.
Ich ersehne, will Zukunft! Sie wächst aus den Erfahrungen der Vergangenheit, aus der Kraft des Los-lassens von Festgefahrenem, im offenen Zugehen auf das Neue und auf den Fremden. Zukunft liegt aber nicht nur in meiner Verfügbarkeit, sondern kommt auf mich zu, wird ermöglicht, wenn ich meine Grenzen aufbreche und Begegnung wage, mich traue und anvertraue.
Indem ich Gott, den anderen und mir etwas zutraue, kann Vertrauen und Zukunft wachsen. So kann die Schrittfolge: nehmen, gebrauchen, wegwerfen, abgelöst werden vom verheißungsvollen Dreiklang TRAUEN – VERTRAUEN – TREUE.
Einfach Vertrauen und Treue wagen. Das Wort einfach in seiner Doppeldeutigkeit ist mir wichtig geworden.
Im einfachen Loslassen Begegnung wagen und der Zukunft den Weg bereiten – und andererseits: was auch immer kommen mag, im Vertrauen einfach leben.
Sr. Sonja Dolesch
Impuls …
Wahrnehmen und tiefer schauen
Was haben Kontemplation und Urlaub gemeinsam?
Kontemplation ist heute ein Modewort geworden. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Das Verb „betrachten (contemplari)“ kommt bei Franz von Assisi nur einmal vor. In seiner ersten Ermahnung spricht er vom Glauben als „Schauen mit geistlichen Augen“ (oculis spiritualibus contemplantes). Er meint damit ein tieferes Schauen, ein Durch-die-Oberfläche-Blicken. Auch vom amerikanischen Franziskaner Richard Rohr (geb. 1943) wird „Kontemplation“ als „liebevoller Blick auf das, was da ist“ beschrieben.
Diesen liebevollen Blick, diese Kultur der Aufmerksamkeit, hat Franziskus Schritt für Schritt lernen müssen. Die Orte seiner Kindheit und Jugend – das Stadtzentrum Assisis, das Handelshaus, die Märkte und Feste – sind laut. Nach Krieg, Gefangenschaft und Krankenbett folgt die Zeit der Suche. Die Stille wird seine erste Begleiterin. Es folgen unerwartete Erfahrungen mit Aussätzigen, die ihn aufrütteln. Und er lernt das schauende Verweilen: in der kleinen Kapelle von San Damiano auf Christus zu schauen und sich selber anschauen zu lassen. Langsam versteht er, tiefer zu schauen. Jedes Geschöpf wird für ihn zum Zeichen für Gottes Gegenwart und deshalb so wertvoll und so kostbar!
Das Wort “Urlaub” hat seinen Ursprung im althochdeutschen „Urloub” und bedeutet „Erlaubnis”. Wir dürfen uns erlauben zur Ruhe zu kommen. Wir dürfen heraustreten aus der Routine des Funktionierens und den gegenwärtigen Moment einfach genießen.
Ich wünsche uns – nicht nur im Urlaub – Zeiten des achtsamen und absichtslosen Daseins, die uns an Leib und Seele guttun und unseren kontemplativen Blick weiten.
Sr. Vera Ronai
Impuls …
BeziehungsWEISE leben – Einander zur Entfaltung verhelfen
Nach der Begegnung mit dem Aussätzigen und nach dem endgültigen Bruch mit seinem Vater 1206 begann für Franz von Assisi ein neues Leben. Er zog sich in einsame Höhlen und abgelegene, zerfallene Kapellen zurück. Er sucht seinen Weg und seinen Auftrag.
Im Frühjahr 1208 kehrt er als Bußprediger nach Assisi zurück. Bald schließen sich ihm drei Gefährten an. Als die entstehende Bewegung ein Jahr später zwölf Brüder zählt und mit ihrer Wanderpredigt weit über Assisi bekannt ist, sucht sie in Rom den Segen und die Bestätigung des Papstes. Zurück in Assisi, gesellen sich die ersten Priester zu den ersten Laienbrüdern. Einer von ihnen ist Bruder Leo. Im Laufe der Zeit wird Leo nicht nur Sekretär, sondern ein Freund und Wegbegleiter des Heiligen.
Der Brief an Bruder Leo ist eines der beiden handgeschriebenen Dokumente, die von Franziskus erhalten blieben:
„Bruder Leo, dein Bruder Franziskus wünscht dir Heil und Frieden. So sage ich dir, mein Sohn, wie eine Mutter: Alle Worte, die wir auf dem Weg gesprochen haben, fasse ich kurz in dieses Wort und in diesen Rat, und danach ist es nicht mehr nötig wegen eines Rates zu mir zu kommen, weil ich dir so rate: Auf welche Weise auch immer es dir besser erscheint, Gott, dem Herrn, zu gefallen, und seinen Fußspuren und seiner Armut zu folgen, so tu es mit dem Segen Gottes des Herrn, und mit dem Gehorsam gegen mich. Und wenn es dir um deiner Seele oder deines sonstigen Trostes willen notwendig ist, und du zu mir zurückkommen willst, so komm.“
Die Geschichte des Briefes beginnt im Leben. Franziskus und Leo sind gemeinsam unterwegs. Sie reden miteinander und Leo bittet Franziskus offensichtlich um einen Rat.
Wie reagiert Franziskus? Er nimmt zuerst seinen Mitbruder wahr, er nimmt sich Zeit für ihn. Leo wird persönlich mit Namen angesprochen. Es geht wirklich um ihn. Es soll ihm gut gehen, er soll Friede und Heil erfahren. Franziskus stellt seinen Freund nicht bloß, er belehrt und moralisiert nicht. Er hört aufmerksam zu. Mit viel Empathie erinnert Franziskus an die Worte, die er und Leo gemeinsam gesprochen haben. Es fällt auf, wie oft in diesem kurzen Text „du“, „dir“, „dein“ vorkommen.
„So sage ich dir, mein Sohn, wie eine Mutter.“ Wenn Franziskus in seinen Schriften familiäre Bilder verwendet, dann ist es die mütterliche Liebe. Menschliche Hilfe soll wie eine Mutter, sensibel, intuitiv und tatkräftig Leben fördern und zur Entfaltung hinführen.
Ziemlich in der Mitte des Textes finden wir den Komparativ besser. Er steht für Wachstum, Fördern, Zukunft. Wenn wir auch Leos Problem nicht kennen, so können wir doch dem Brief entnehmen, dass es darum ging, wie er seinen Auftrag besser leben soll. Franziskus nimmt Leo die Entscheidung nicht ab und er bindet ihn nicht an sich. Aber er unterstützt ihn, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Das macht er, indem er für ihn einfach da ist und ihn in aller Freiheit und hinreichender Sicherheit an klare Vereinbarungen erinnert („den Fußspuren Jesu folgen“). Nach dem Motto: Du kannst jederzeit kommen – aber du musst nicht. Das ist ein Stück franziskanische Pädagogik.
Am Ende fordert Franziskus seinen Freund auf zu konkretem Tun: Was immer dir besser erscheint, tue es! Die Art und Weise, wie Franziskus mit seinem Mitbruder umgeht, möge auch uns zum konkreten Handeln inspirieren. Denn darauf kommt es an!
Sr. Vera Ronai
Impuls …
„Friede den Menschen auf Erden!“ (Lukas 2,14b)
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden“ – singen die Engel im Weihnachtsevangelium. Doch haben wir heute Grund zur Hoffnung angesichts des Unfriedens auf der Erde und der vielfältigen Krisen, die auch wir hautnah spüren? Ist die Botschaft der Engel eine Illusion, weil es nach wie vor Krieg, Hass und Gewalt gibt?
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden“ – hören die Hirten während der Nachtwache bei ihrer Herde auf dem Feld. Sie sind wach, hörend und suchend. Einfache Menschen ohne Ansehen, aber dafür mit einem offenen Ohr. Sie machen sich auf den Weg und finden den verheißenen Retter in einem Stall in Bethlehem.
Unwillkürlich fällt mir Franz von Assisi ein. Wie er nach einem weitgehenden Sinnverlust auf die Suche geht und Zeit seines Lebens ein Hörender bleibt. Wie er aus seiner Zunft, Stadt und Lebensweise aussteigt und dabei auf Status und Ansehen verzichtet. Wie die Begegnung mit dem Aussätzigen ihn auch spirituell empfindsam werden lässt. Wie er im Kreuz von San Damiano auf Augenhöhe die Nähe Gottes und im Evangelium seinen Auftrag entdeckt: Frieden den Menschen zu bringen!
„Friede den Menschen auf Erden!“ In dieser Zeit der wachsenden Unsicherheiten gewinnt die Botschaft der Engel auch für uns seine Bedeutung: als Haltung, die Unrecht erkennt und bekennt, als Zeichen für das Heil inmitten des Unheils und als Auftrag, dort, wo wir sind, Frieden den Menschen zu bringen!
Sr. Vera Ronai