Freude an der Zukunft
Provinzoberin Sr. Sonja Dolesch spricht im Interview mit „Unterwegs“ über das franziskanische Profil der Grazer Schulschwestern und ihrer Werke, über die Auswirkungen der Corona-Krise und über Perspektiven für den „Verein für Franziskanische Bildung“.
Peter Rosegger: Was sind aus Ihrer Sicht die drei wesentlichen Elemente des Franziskanischen?
Sr. Sonja Dolesch: Das ist für mich zuerst einmal der Begriff „Minder“, so wie der heilige Franziskus ihn verstanden hat. Das bedeutet nicht, ich bin weniger wert, sondern ich stelle mich über niemanden. Franziskus nennt sich und seine Brüder „Minderbrüder“. Er ist allen Bruder geworden vor Gott. Auch Gott ist nicht abgehoben und majestätisch fern, sondern der uns liebende Vater, der sich im Kind in der Krippe klein vor uns macht. So entdecken wir Gott und unsere Mitmenschen nicht in großen Gesten, sondern im Kleinen – im liebevollen Blick. Wir entdecken so Gott ganz ohne Goldglanz. Daraus folgt zweitens konsequent, dass ich anderen Menschen auf Augenhöge begegne und ihnen offen zugewandt bin. Deshalb nennen wir uns Schwester, das will sagen: wir sind Schwester. Im franziskanischen Verständnis bezieht sich das nicht nur auf die Menschen, sondern auf den geschwisterlichen Umgang mit der gesamten Schöpfung. Das Dritte ist für mich, mit anderen in einem geschwisterlichen Dialog zu leben, besonders auch mit jenen, die mir fremd sind oder die eine andere Meinung haben.
Was bedeutet es heute, als Franziskanerin zu leben?
In der Spur des heiligen Franziskus zu leben, heißt erdverbunden leben. Wir kennen das bekannte Sprichwort „Komm auf den Boden!“. Das bedeutet nicht, keine Träume zu haben, sondern geerdet und nicht überheblich zu sein, entschieden und mutig auch gegen den Strom der Zeit zu schwimmen und auf Macht zu verzichten. Macht ist für uns Menschen seit jeher reizvoll. Franziskanisch meint Einfachheit, Respekt und Umkehr zum Wesentlichen, Reduktion. Während der Corona-Krise sind wir zur Reduktion gezwungen. Reduktion und Loslassen haben dazu verholfen, manches neu zu entdecken und z.B. die Wertschätzung für die Schöpfung und unsere Solidarität für die Schwächeren vertieft. Teilen und sich zurücknehmen ist ja nicht immer leicht. Wir Menschen haben mitunter auch legitime Besitzansprüche. Die Reduktion hat uns geholfen, den rechten Umgang mit dem, was wir haben und können besser zu lernen.
Die Ordensgemeinschaft ist auf verschiedenen Kontinenten tätig. Wie gelingt es dabei, regionale und globale Anliegen zu verbinden?
Es braucht immer wieder die Bereitschaft zum Dialog und die schwesterliche Liebe, um den unterschiedlichen Kulturen, Bedürfnissen und Sichtweisen in den verschiedenen Ordensprovinzen gerecht zu werden und die Einheit zu suchen und zu fördern. Auch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Erfordernisse bei notwendig gewordenen Veränderungen sehe ich als eine besonders große Herausforderung; schon innerhalb der Provinz Österreich und umso mehr in der internationalen Kongregation. Die Generalleitung fördert die Einheit innerhalb der Kongregation und braucht unser aller Ringen und Mitgehen.
Was sind die Perspektiven und Herausforderungen für die Gemeinschaft in Österreich?
Viele unserer Schwestern sind schon in hohem Alter. Sie bringen einen großen Schatz an Gebets- und Lebenserfahrung und besonders auch Zeugnisse eines erfüllten und gelungenen Lebens. Das sind tragfähige Schultern für die Zukunft. Wir bemühen uns darum, unseren älteren Schwestern einen guten Lebensabend zu ermöglichen, sie in ihrem geistlichen Leben zu stärken und ein starkes Gemeinschaftsnetz zu geben. Natürlich würden wir uns über viele junge Schwestern freuen, die auch Gemeinschaft mit jüngeren Schwestern erleben. Und natürlich denke ich darüber nach, wie wir das Charisma unserer Ordensgründerin in unserer Provinz gut in die Zukunft tragen können, wenn es nur mehr wenige Schwestern in Österreich gibt.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf das geistliche Leben in der Gemeinschaft aus?
Die meisten unserer Schwestern gehören aufgrund des Alters zur „Risikogruppe“, so mussten wir uns im Kloster zurückziehen. Das ist sehr schwer, denn das gemeinsame Haus und die Schule ist unser Leben. Auch wenn nur mehr vereinzelt Schwestern im direkten Schuldienst stehen, es gibt viele Möglichkeiten, andere Dienste im Bereich von Schule, Tagesheim oder Kindergarten zu übernehmen: Schwestern sind vor Unterrichtsbeginn für die Kinder da, begrüßen die Kinder, sind zum Gespräch mit Eltern und Lehrer/innen bereit. Diese Möglichkeit wurde durch Corona genommen. Aber es gibt ja auch andere Möglichkeiten füreinander da zu sein. Die Schwestern sind diesbezüglich sehr kreativ, sie suchen andere Zeichen und Ausdrucksformen ihrer Verbundenheit mit den Kindern und Mitarbeiter/innen in den „Einrichtungen“ und nehmen alle mit in ihr Gebet. Das spürbare Füreinander und Miteinander tut auch den Kindern, ihren Eltern und dem Lehrkörper gut.
Der Rückzug hat uns auch mehr Zeit gegeben für unser Gebet und für das gemeinsame Leben. In Gemeinschaft zu leben ist – besonders in Krisenzeiten – nicht immer leicht, aber der Rückzug hat uns auch neue Kraft- und Lebensquellen erschlossen. Auch für mich sind das Kloster und die Gemeinschaft in dieser Zeit noch deutlicher mein Zuhause und zugleich habe ich den Wunsch neu entdeckt, auch für die Menschen da sein zu können.
Die Schulschwestern sind besonders „Unterricht und Erziehung verpflichtet“, wie es auf der Homepage heißt. Was bedeutet das für Sie in den Ordenswerken heute?
Zunächst Begegnung. Die Schule muss ein Ort sein, wo Leben, Lebens- und Glaubenserfahrung ermöglicht und geteilt werden kann. Die immer nötige Wissensvermittlung braucht dieses tragende Netz. So hat es auch unsere Gründerin verstanden. Die Schule befähigt zum besseren Leben im umfassenden Sinn. Mit der Bildung wird Erfahrung vermittelt, was mein Leben reich macht und was es gelingen lässt. So wollen wir in unseren Schulen und Kindergärten die jungen Menschen auf eine gute Spur für ihr Leben begleiten.
Wie geht es im kommenden Schuljahr mit den Ordenswerken weiter?
Ich bin grundsätzlich zuversichtlich! Im neuen Schuljahr werden wir sicherlich noch einige Folgen der Corona-Krise spüren – auch wirtschaftliche. Wir werden jedoch vor allem den Wert der Begegnung und des Miteinander neu erleben. Digitalität ist gut und kann besonders auch in Krisen viel leisten, aber die Begegnung zwischen Menschen nie ersetzen.
Welche Chancen ergeben sich dabei aus dem neuen „Verein für Franziskanische Bildung“?
Er gibt uns die Möglichkeit, in herausfordernden Zeiten vertieft zu entdecken, was es bedeutet, als franziskanische Schulen gemeinsam und in Vielfalt zukunftsfit zu sein. Seit insgesamt drei Jahren sind wir im Verbund der verschiedenen Ordensleitungen und ihrer Schulvereine gemeinsam unterwegs mit der Absicht und in der Gewissheit, dass wir die Verbindung auf dem gemeinsamen franziskanischen Weg brauchen, um unsere Werke gut in die Zukunft führen zu können. Das war und ist eine wirklich spannende Aufgabe. Alle fünf franziskanischen Schulträgervereine haben jeweils ihr franziskanisches Profil definiert. Wir haben viel Gemeinsames entdeckt und in der Konkretisierung viele unterschiedliche Zugänge zugelassen. Es geht nicht darum, alles über einen Kamm zu scheren, sondern im Dialog miteinander auch legitime und gewachsene Unterschiedlichkeit kennen zu lernen und zu fördern. Franziskanisch miteinander zu sein heißt auch, den Anderen anders sein zu lassen. Auch die Art und Weise wie wir die zum Teil sehr schwierigen Gespräche und Verhandlungen geführt haben, war zutiefst vertrauensbildend. Es ist uns gelungen, einen gemeinsamen Weg zu finden, der Vielfalt zulässt und gleichzeitig die Verbundenheit miteinander sucht und fördert – nicht nur mit franziskanischen Zielen, sondern auch auf franziskanische Weise, in franziskanischer „Gangart“. Der neue Verein bietet die Chance, Bildung nach den franziskanischen Werten zu „buchstabieren“. Ich sehe darin einen zeitgemäßen und zukunftsweisenden Weg.
Mit dem Leitwort „Anlauf nehmen“ hat der Verein im vergangenen Jahr sein Wirken aufgenommen. Wie sieht Ihr Resümee nahe am Ende seines ersten Schuljahres aus?
Ich selber nehme immer wieder wahr, dass die Freude am Miteinander wächst ist. Einige waren abwartend skeptisch. Insgesamt aber sind alle froh, dass wir an der Zukunft arbeiten. Jetzt merke ist ein Interesse daran, über den eigenen Zaun hinaus zu schauen und in den Austausch mit den anderen Teams und Einrichtungen in Österreich zu treten. Wenn die Freude am Zusammenrücken weiter wächst, ist das ein Indiz dafür, dass der Verein einen Mehrwert bringt. Unser Geschäftsführer hat die große Begabung zum Netzwerker – Hinhören, Gespräche führen, Ermutigen. All das trägt zu einem positiven Klima bei. Auch für uns Ordensgemeinschaften war und ist diese Vernetzung und der Austausch eine Möglichkeit unser Charisma weiterzutragen. Wir erfahren uns in franziskanischer Weggemeinschaft und wollen gemeinsam innovativ und solidarisch miteinander unterwegs bleiben. Vertrauen und Offenheit sind dabei unabdingbare „Währungen“.
Was bedeutet das konkret für die Ordenswerke in der Steiermark?
Dieses Jahr war sicherlich auch dadurch geprägt, die nötigen Rahmenbedingungen auf- und umzusetzen. Mich beschäftigt die Frage: Werden unsere Schulen und Kindergärten auch künftig als Ordensschulen und Ordenskindergärten erkennbar sein? Kann ein Ordenswerk ohne Orden „drinnen“ Bestand haben? Ich bin sehr dankbar für unsere kompetenten und engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir bemühen uns mit ihnen, unser Charisma und unseren franziskanischen Weg zu leben. Die Zukunft wird sich auch daran entscheiden, ob wir Ordensleute jetzt unseren franziskanischen Weg so gehen, dass andere mitgehen und wiederum andere dazu ermutigen können.