„Ohne Segen von oben funktioniert überhaupt nichts“
Interview mit Generaloberin Sr. Petra Rosenberger über Mutter Franziska
Durchgeführt wurde das Interview von Sebastian Negovec, Absolvent des ORG der Grazer Schulschwestern, mit Sr. Petra Rosenberger, Generaloberin der Kongregation der Franziskanerinnen v.d.U.E.
Eine kurze Lebensgeschichte der Gründerin der Kongregation, Mutter Franziska Antonia Lampel, ist unter dem Menüpunkt Geschichte zu finden.
Sebastian: Warum haben Sie sich für eine franziskanische Gemeinschaft entschieden?
Sr. Petra: Interessante Frage. Ich habe mich eigentlich überhaupt nicht für eine franziskanische Gemeinschaft entschieden, sondern für das Ordensleben an sich. Erst dann habe bemerkt, dass es sich bei dieser Kongregation um eine franziskanische Gemeinschaft handelt. Jetzt bin ich natürlich sehr froh darüber, ich mag den heiligen Franz von Assisi wirklich sehr, er hat unglaublich gute Dinge vollbracht und die Art, wie er lebte, ist einfach faszinierend. Es gibt viele unterschiedliche Kongregationen, die nach seinem Geist ausgerichtet sind. Seine innere Freiheit und Fröhlichkeit gekoppelt mit der radikalen Armut ist faszinierend. Interessanterweise war Mutter Franziska bereits vor der Gründung unserer Gemeinschaft Franziskanerin. Sie und eine Gruppe von Lehrerinnen gehörten zum Dritten Orden, das sind Laien, die sich an der Geistigkeit des Franz von Assisi orientieren.
Sebastian: Was unterscheidet die Grazer Schulschwestern von anderen Schulen und wie wirkt Mutter Franziskas Geist darin?
Sr. Petra: Die innere Einstellung, mit der man die Arbeit macht, ist geprägt von Mutter Franziska. Sie hatte, wenn ich darüber nachdenke, was ich über sie gelesen habe, auch eine sehr gute Pädagogik. Zur damaligen Zeit war man doch sehr geprägt von der Vorstellung, dass Kinder sehr streng erzogen und auch bestraft werden müssen. Diese Meinung vertrat sie nicht, sondern sie hatte eine unglaublich gute Einstellung, was das Thema Kindererziehung betraf. Zu den Schwestern sagte sie immer wieder, eine Schulschwester müsse „Mutter, Kindsmagd und Lehrerin“ zugleich sein, also auch mit den kleinen Kindern entsprechend umgehen.
Es ging ihr nicht nur um Wissensvermittlung. Wichtig war ihr, Erziehung und Unterricht zu verbinden, die Kinder ganzheitlich zu fördern. Sie sagte den Schwestern: „Legt den Keim der Gottesliebe in die Herzen der Kinder“, dann werden sie zu guten Menschen… Man sollte die Kinder also liebevoll, aber konsequent begleiten. Auch mit den Schwestern war sie streng, liebevoll aber auch streng, wenn es sein musste. Diese Kombination finde ich sehr interessant.
Sebastian: Ist es heute noch so, dass die Schulschwestern versuchen, den „Keim der Gottesliebe in die Herzen der Kinder“ zu legen?
Sr. Petra: Ja, ganz sicher. Wir Franziskanerinnen bemühen uns, unseren Schulen ein – wie wir es nennen – franziskanisches Profil zu geben. Da ist etwa die Idee der universalen Geschwisterlichkeit, also jedem Menschen als Bruder oder Schwester zu begegnen. Wir betrachten die Geschöpfe, die Schöpfung, nicht als „Dinge“, die man verwendet oder besitzt, sondern als Mitgeschöpfe und Geschenke Gottes. Der heilige Franziskus hatte auch einen sehr starken Gottesbezug, er war ganz tief und ständig verbunden mit Gott. Das prägt uns Schwestern auf jeden Fall, und da wir immer mehr Mitarbeiter/innen haben, versuchen wir, ihnen zu helfen, dass diese das auch verstehen.
Sebastian: Wie lebt man heute die Verbindung von Gebet und Arbeit?
Sr. Petra: Das war eines ihrer Grundprinzipien und der Grund, warum Mutter Franziska bei der Aufnahme von Kandidatinnen auffallend streng war. Es gab damals strenge, klausurierte Gemeinschaften, also Schwestern, die in Klausur lebten, aber Mutter Franziska war für alle greifbar und voller Tatendrang und verband beide Seiten, Gebet und Arbeit. Das war ihr sehr wichtig.
Auch für mich ist das ein wichtiges Prinzip: ich versuche, in der Gegenwart Gottes zu leben, obwohl ich natürlich nicht den ganzen Tag beten kann. Wie in einer Familie, wo die Mutter zwar da ist, aber man auch nicht ununterbrochen mit ihr redet, aber sie ist präsent, und man fühlt sich dabei gut und sicher. In schwierigen Situationen stelle ich mir manchmal vor, Gott hätte ein Handy und ich könnte ihn jederzeit anrufen, oder wenn ich wohin gehe, sage ich einfach: „Bitte geh jetzt mit!“. Manchmal zünde ich als Erinnerung während einer Tätigkeit eine Kerze an. So ähnlich dürften es die anderen Schwestern auch machen.
Sebastian: Wie weit werden die von Mutter Franziska aufgestellten Statuten heute noch befolgt?
Sr. Petra: Die Statuten, die Mutter Franziska aufstellte, sind natürlich verändert worden. Das geschieht ja alle 30 bis 40 Jahre. Wir haben derzeit auch neue Konstitutionen. Als wir diese erarbeitet haben, wurden die Statuten von 1843 sorgfältig gelesen, um nichts Wichtiges zu vergessen.
Sebastian: Die ersten Statuten dienen also als Leitfaden?
Sr. Petra: Ja, so könnte man es sagen. Einige Dinge sind nicht mehr aktuell, die Zeit ist eine andere, daher gibt es immer wieder Aktualisierungen, aber ihr „Geist“ wirkt noch immer, das was sie damals bewegte.
Sebastian: Finden Sie, dass sich die Schwestern von heute sowie die heutige Gesellschaft etwas von Mutter Franziska abschauen könnten?
Sr. Petra: Ja, auf jeden Fall. Zum Beispiel war es ihre Einstellung, klein und demütig zu sein, also zu dienen – etwa den ihnen anvertrauten Kindern – sich so klein und demütig zu machen, dass wir Gott durch uns hindurch wirken lassen. Bewusst anzuerkennen, dass hinter allen Dingen Gott steht und wir nur dank seiner Hilfe etwas bewirken können, das ist wichtig. Ich stelle mich Gott zur Verfügung und tue, was ich tun kann, in der Hoffnung, dass er das Übrige macht. Mutter Franziska sagt: „Ohne Segen von oben“ funktioniert überhaupt nichts und „Vereinte Kräfte vermögen mehr, wenn sie in Gott geeint sind.“ Diese gegenseitige Hilfe gilt auch als Prinzip für die Schule: man sieht das Ganze als gemeinsames Werk und unterstützt sich gegenseitig.
Auch bei der Frage Gebet und Arbeit ist es so, dass Beten mehr bedeutet als mit Gott sprechen, sondern Gott spricht ja auch mit mir, es ist eine gegenseitige, irgendwie freundschaftliche Beziehung. Gott spricht übrigens auch durch die Schwestern zu mir. Es ist nicht nur von der Arbeit her gemeinsam leichter, sondern es entsteht auch eine andere Verbundenheit untereinander – über die Arbeit hinaus. Es gibt natürlich immer menschliche Schwächen und oft gelingt es uns nicht, dem Ideal gerecht zu werden. Aber wenn man kein Ideal hat, dann erreicht man wahrscheinlich nur ein Minimum.
Sebastian: Was ist Ihre innere Haltung gegenüber Mutter Franziska?
Sr. Petra: Ich habe einfach sehr großen Respekt vor ihr, weil sie so mutig war. Ich habe bereits einiges erwähnt, wie sie ihre Beziehung zu Gott lebte, wie liebevoll und streng zugleich sie war, wie sie die Schwestern motivieren konnte. Das waren ihre großen Gaben. Sie fungierte als Vorbild, die Schwestern sahen an ihr, wie man als Franziskanerin lebt. Sie hatte auch eine Vorreiterrolle inne, denn sie führte Dinge ein, die damals überhaupt nicht üblich waren – etwa, dass man Gelübde auf begrenzte Zeit ablegt. Wenn eine Schwester bemerkte, dass sie es nicht schafft, konnte sie nach Ablauf der Gelübde gehen, sogar unter Rückerstattung des mitgebrachten Vermögens. Mutter Franziska hatte diesbezüglich großen Mut und Vertrauen auf Gott. Mit Bischof Zängerle verstand sie sich gut, und er half ihr sehr in den ersten Jahren.
Mutter Franziska konnte auch Nein sagen. Es gab zum Beispiel eine Anfrage aus Wien, als eine adelige Dame für ein Spital Schulschwestern haben wollte. Mutter Franziska antwortete, dass dies ein Schulorden sei und es zu viel wäre, auch mit Krankenpflege zu beginnen. Das bewundere ich. Es war ihr nicht nur das Wohlergehen der Kinder wichtig, sondern auch das der Schwestern. Sie versuchte, den Schwestern alles zu bieten, was sie benötigten, vor allem für ihre Arbeit. Da war sie großzügig.
Sebastian: Würde der Orden heute noch bestehen, wenn Mutter Franziska sich nicht durch ihren Austritt für ihn aufgeopfert hätte?
Sr. Petra: Das kann man natürlich nicht wirklich beantworten, man weiß ja nicht, was gewesen wäre wenn… Ich sehe das so: Es bestand sicher eine große Gefahr, sonst hätte sie diesen Schritt nicht getan. Sie war ja sehr weise, schätzte die Situation bestimmt realistisch ein und entschied sich, wegzugehen. Daher glaube ich, dass ihre Sorge um den Weiterbestand begründet war, sonst hätte sie das ganz sicher nicht getan. Andererseits wusste sie nicht, wie lange sie noch zu leben hatte, oder ahnte den nahen Tod vielleicht? Wäre sie die kurze Zeit bis zu ihrem Tod noch geblieben, wäre es vielleicht ähnlich weitergegangen. Aber das sind eben Spekulationen.
Sebastian: Was motiviert Sie als Generaloberin, woraus schöpfen Sie Kraft?
Sr. Petra: Was mich motiviert? Ich würde sagen, ich habe im Laufe meiner Zeit als Schwester diese Kongregation mit dem Charisma der Mutter Franziska immer mehr lieben gelernt. Eine Zeit lang gab es sie nur in Graz und in Österreich, heute sind wir international. Mich motiviert der Glaube an Gott und die Berufung zum Ordensleben, die von ihm kommt. Die Schwestern haben mich beim Generalkapitel 2013 gewählt. Das zeigt mir ihr Vertrauen und auch das trägt mich ein Stück weit. Immer wieder sagen Schwestern: „Ich bete für dich“, was meinen Glauben stärkt und mir Mut macht, weil ich doch von meinem Naturell her eher ein ängstlicher Mensch bin. Außerdem habe ich eine Gruppe von Rätinnen, das heißt ich bin nicht allein. Alle wichtigen Entscheidungen treffen wir gemeinsam und wir tragen die Verantwortung für die Kongregation gemeinsam…
Ein Wort von Mutter Franziska tröstet mich, wenn ich mich ungeeignet oder überfordert fühle: „Unsere Nichtswürdigkeit hält Gott nicht ab, uns als seine Werkzeuge zu gebrauchen.“ In vielen Sprachen wird Werkzeug als „Instrument“ übersetzt, das ist schön, vielleicht macht Gott mit uns Musik?